„Meine Legasthenie-Geschichte“
Legasthenie ist mehr als nur „nicht lesen und schreiben können“
Meine Legasthenie-Geschichte
Ich war damals in der 2. Klasse, als bei meinem älteren Bruder eine Legasthenie diagnostiziert wurde. Meiner Mutter wurde geraten auch mich testen zu lassen. Bei mir wurde eine hochgradige Legasthenie festgestellt.
Meine Mutter wollte uns helfen, so übte sie mit uns Diktate. Trotz der vielen Übungen waren die Diktate immer 5-6, alles war rot und mit „F“ für Fehler, vermerkt. Das Lesen und Schreiben war eine anstrengende Sache, trotz üben und Nachhilfe wurde es nicht besser. In der 4. Klasse kam der Zeitpunkt, wie es mit der weiterführenden Schule weitergeht. Meine beste Freundin hatte immer Einsen und kam auf das Gymnasium. Mir wurde gesagt, wer nicht Lesen und Schreiben kann, der muss auf die Hauptschule. Ich war sehr traurig, musste viel weinen. Ich habe die Welt nicht verstanden, warum Freunde getrennt werden, nur wegen „lesen und schreiben“. Die fünf Jahre Hauptschule waren emotional und zwischenmenschlich eine große Lehre. Ich war anders, wurde viel gemoppt, habe viele Tränen vergossen: Schule war nicht schön!
Da ich am Ende der 9. Klasse die vorgeschlagenen Lehrberufe, die zur Auswahl standen nicht mochte, besuchte ich für weitere 2 Jahre die Berufsschule und erwarb dort meinen Mittlere Reife. Auch das war ein langer und anstrengender Weg. Am Ende wollte ich mir beweisen dass ich mehr kann und besuchte zwei weitere Jahre die Berufsschule für Erzieher, um dort mein Fachabitur zu machen. Auf dieser Schule bekam ich immer Punktabzüge in den Arbeiten wegen meiner schlechten Rechtschreibung. Meine Deutschlehrerin sprach mich an, ich müsse Nachhilfe bekommen. „Wer ein Fachabitur haben möchte muss auch richtig schreiben können“, so sagte sie. Ich war tief verletzt und musste weinen. Dieses Gespräch hat mich völlig aus der Fassung gebracht. Das Gefühl nicht gut genug zu sein, anders zu sein, immer mehr arbeiten müssen als alle anderen, war schon immer ein Thema in meinem Leben. In der Hauptschule hatten wir sogar Lehrer die sagten, wir seien alle dumm und aus uns würde sowieso nichts.
Nach meinem Fachabitur wollte ich reisen und so flog ich für ein Jahr „work and travel“ nach Australien. Zu Beginn konnte ich weder Englisch sprechen noch schreiben. Doch mit ein paar Worten und Händen und Füßen kam ich zurecht. Ich bin ein sehr kommunikativer und sozialer Mensch, sodass ich schnell Anschluss fand. Nach 3 Monaten konnte ich fließend mit den Menschen reden und war stolz eine neue Sprache zu sprechen. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hatte ich eine tiefe Sinneskriese. Ich wusste nicht wie es weiter gehen sollte.
Ich jobbte im Café und lebte in den Tag hinein. Irgendwann wurde klar: um selbstständig zu sein und auf eigenen Beinen zustehen, muss ich einen Beruf erlernen. Studieren konnte ich mir nicht vorstellen, so kam ich zu dem Entschluss ein Handwerk zu erlernen. Schreiner, Schneider oder Goldschmied standen zur Auswahl. Dann kam die Idee Physiotherapeutin zu werden. Viele Stimmen im meinem Umfeld wurden laut: Meinst du, du schaffst das? Das ist viel zu schwer! Aber ich wusste: Das will ich und das kann ich auch schaffen! Ich bewarb mich an vielen Schulen. Ich entschied mich für die Schule, an der 800 Bewerber waren und nur 20 Plätze vergeben wurden. Ich bekam einen Platz, besuchte diese Schule und hatte am Ende meinen Abschluss als staatlich geprüfte Physiotherapeutin.
Ich war 3 Jahre Klassensprecherin, musste mich oft durchkämpfen. Immer wieder, wenn eine Person mich auf meine Legasthenie ansprach, musste ich weinen. Ich fühlte einen tiefen Schmerz und war verletzt. Aber ich wusste, auch wenn ich nicht richtig lesen und schreiben kann, ich habe viel erreicht.
Eines Tages kam eine Patientin zu mir, die mir von ihrem Sohn erzählte, der Legastheniker ist. Wir sprachen darüber und sie brachte mir das Buch „Legasthenie als Talentsignal“ und die Adresse von Frau Rosendahl mit. Als ich das Buch las, brach ich in Tränen aus. Jetzt bin ich 28 Jahre alt, und wusste, ich muss zu Frau Rosendahl. Ich bin bereit etwas zu verändern, meine Neugier war geweckt. So besuchte ich Frau Rosendahl in Dortmund und nach einem 2 stündigen Gespräch wusste ich, ganz entschlossen und tief aus dem Bauch heraus, dass ich mit ihr arbeiten will und mit ihr den Weg gehen will. Auf dem Weg nach Hause flossen im Auto wieder Tränen, jedoch aus Dankbarkeit, Freude und Erlösung darüber, endlich eine Person gefunden zu haben, die mich mit meinen Problemen versteht, die eigentlich keine sind.
Vor der Beratung fühlte ich mich oft überfordert von der Arbeit und den vielen Menschen und Freunden, die alle etwas von mir wollten. Ich konnte mich nur schwer entscheiden und versuchte allen gerecht zu sein. Ich war immer für alle anderen da und verlor mich dabei selbst aus dem Blick. Das Gefühl, das ich nichts kann und nichts weiß, machte mich oft traurig und schon fast depressiv. Mein Selbstwertgefühl war verschwunden, ich fühlte mich erschöpft und kraftlos. Für alles, was in meinem Umfeld geschah, fühlte ich mich schuldig. Ich hatte das Gefühl ein Spielball meines Umfeldes zu sein – orientierungslos – was kann ich? – wer bin ich? – und wo sind meine Stärken? Darauf gab es keine Antwort. Wenn mich jemand fragte: „was willst du?“ war meine Antwort immer „ist mir egal, entscheide du“. Mir fiel es schwer Entscheidungen zu treffen.
Auch Abschied zu nehmen fällt mir schwer, ohne dabei in Tränen auszubrechen. Das gilt auch für Dinge oder Begegnungen, die ich loslassen will. Ich wusste nicht, dass all diese Dinge mit der Legasthenie zusammenhängen, mit dem hohen Maß an Empathie und der veränderten Wahrnehmung, mit der man durch das Leben läuft.
Nach der Beratung fühlte ich mich wieder ganz verbunden und geerdet mit mir. Mein Selbstwertgefühl ist wieder aufgebaut. Ich fühle mich stark und orientiert. Ich habe Werkzeuge an die Hand bekommen, die mir helfen mich zu orientieren. Durch das bildhafte Lernen und dem Arbeiten mit Knete erfährt man eine geniale Methode, sich neues Wissen anzueignen. Wir haben meine Wissenslücken mit Erfahrung und Leben gefüllt, dadurch kann ich meinen Alltag viel besser bewältigen. Durch diese Orientierung kann mich von anderen abgrenzen. Ich fühle mich nicht mehr für Dinge verantwortlich, die nichts mit mir zu tun haben. Ich weiß was ich will und was ich kann.
Der Austausch über das Lesen und Schreiben hinaus, hatte eine heilende Wirkung. Bei Frau Rosendahl fühlte ich mich als ganze Person gesehen und verstanden. Sie gab mir das Gefühl großen Vertrauens und den Mut Veränderungen anzunehmen. Ein grundlegendes Fundament wurde gebaut. Tief im Herzen zu spüren, was Motivation und Verantwortung bedeutet. Es ist ein großes Geschenk, was ich nicht mehr missen möchte. Mein Gefühl zur Legasthenie hat sich verändert. Ich glaube, das Ich nicht mehr weinen muss, wenn mich jemand darauf auspicht. Ich merke, dass Legasthenie keine Behinderung ist, sondern ein großes Geschenk. Ich kenne die beiden Seiten, mit und fast ohne Legasthenie.
Ich freue mich für jeden Menschen, der mit Frau Rosendahl arbeiten kann. Es ist eine Bereicherung für das Leben.
Mit tiefer Dankbarkeit und Freude.
Dominique aus Köln